Siehe zu den
Tätern und Verfahren auch:
www1.jur.uva.nl/junsv/NED/NL-Verfahren01.htm Gesamtverzeichnis
www1.jur.uva.nl/junsv/NED/Angeklagtenfr.htm Angeklagte
www1.jur.uva.nl/junsv/NED/NL-Dienststfr.htm Dienststelle
des Angeklagten
Projekt-Redaktion www1.jur.uva.nl/junsv/
justiz und ns-verbrechen / nazi crimes on trial
Institut
für Strafrecht
Prof. Dr. C.F.
Rüter und Dr. D.W. de Mildt
Universität Amsterdam
Postfach 1030
NL 1000 BA Amsterdam
Niederlande
Telefax: +31 20 5253943
E-mail:
d.w.demildt [ AT ] uva.nl
"Niederländische Strafverfahren gegen
Deutsche und Österreicher
wegen im 2.Weltkrieg begangener NS-Verbrechen
EINFÜHRUNG
Inhalt und Aufbau der Verfahrensübersicht
Die Übersicht enthält die
Verfahren, die nach dem
8.Mai 1945 vor niederländischen Gerichten gegen insgesamt 239
Deutsche
und Oesterreicher
wegen Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie wegen
anderer
besatzungs- und kriegsbedingten Straftaten stattgefunden haben.
Anders als bei den west- und ostdeutschen Verfahren beschränkt
diese
Übersicht sich
somit nicht auf Tötungsverbrechen.
Die Verfahren wurden ähnlich wie die in dieser Website
aufgenommenen
deutschen
Strafverfahren beschrieben und erschlossen. Bei den
niederländischen
Verfahren wurden
allerdings zwei zusätzliche Kategorien gebildet:
eine Kategorie "Nach Deutschland abgeschoben":
hier kann festgestellt werden, wann die betr. Person aus den
Niederlanden abgeschoben und
damit wie lange der betr. Verurteilte seine Strafe verbüsst hat
eine Kategorie "Sonstige Hinweise":
diese enthält Erläuterungen mancher Urteile, Mitteilung
über die
gnadenweise Umsetzung
von höheren in niedrigere Strafen, Hinweise auf mit dem betr.
Verfahren
zusammenhängende
andere (deutsche und niederländische) Verfahren sowie auf
Veröffentlichungen (meistens
in englischer Sprache) über das betr. Verfahren.
Die Verfahren sind chronologisch nach dem Datum der das Verfahren
abschliessenden
rechtskräftigen Entscheidung der Tatsacheninstanz geordnet und mit
der
laufenden Nummer
NL001 - NL241 versehen worden.
An Hand der uns vorliegenden Materialien konnten in Bezug auf die
Tatumstände in einer
Reihe von Fällen keine sicheren Feststellungen getroffen werden.
In
solchen Fällen haben
wir uns dafür entschieden in der betr. Kategorie 'unbekannt' zu
vermerken. Davon sind
insbesondere die Kategorien Tatzeit, Tatort und, wenn auch in
geringerem Masse, die
Kategorie der Opfer betroffen. Wir bemühen uns um Abhilfe in der
kommenden Zeit.
Der Ausgang der Verfahren
Von den 3 weiblichen und 236 männlichen
Angeklagten
wurden freigesprochen 10,7 %
wurde das Verfahren eingestellt bei 4,2 %
wurden verurteilt 85,1 %
Die Strafen
Verurteilt wurden
zur Todesstrafe: 7,5%
zu lebenslänglich: 2,5%
zu einer zeitigen Freiheitsstrafe
bis zu einem Jahr: 2,5%
von 1 bis 5 Jahren: 23,6%
von 5 bis 10 Jahren: 22,4%
von 10 bis 15 Jahren: 12,4%
von 15 bis einschl. 20 Jahren: 14,5%
Die
Vollstreckung der Strafen
Todesstrafen
Vollstreckt wurden 5 Todesstrafen (Verfahren NL004, NL010, NL043,
NL067, NL134). Bei 4
Todesstrafen handelte es sich um ein Abwesenheitsurteil; diese
Verurteilten konnten auch
später nicht verhaftet werden, sodass diese Strafen nicht
vollstreckt
wurden. Einer
dieser Verurteilten war - wie erst nach 1990 bekannt wurde - in der DDR
wegen derselben
Tat bereits ein Jahr vor dem niederländischen Urteil zu 15 Jahren
Zuchthaus verurteilt
worden - siehe Verfahren NL113.
Die übrigen 9 Todesstrafen wurden in lebenslängliche
Freiheitsstrafen
und - bis auf
einen Fall, wo der Verurteilte vorher in der Haft verstarb -
später in
eine zeitige
Freiheitsstrafe umgewandelt.
Lebenslängliche Freiheitsstrafen
Alle lebenslängliche Freiheitsstrafen sind in zeitige umgewandelt
worden. Der letzte zu
einer solchen Strafe Verurteilte wurde Mai 1960 aus der Haft entlassen.
Zeitige Freiheitsstrafen
Diese sind im allgemeinen (und insbesondere bei zeitigen
Freiheitsstrafen von mehr als 1
Jahr) nur zu 2/3 verbüsst worden.
Bei 4 zu zeitigen Freiheitsstrafen Verurteilten konnte die Dauer der
Strafvollstreckung
nicht festgestellt werden. Zwei zu 12 bzw. 7 Jahre Verurteilte flohen
1949 bzw. 1950 aus
der Haft.
Weitere Zahlen
Fünf Jahre nach Kriegsende, am 8.Mai 1950, waren noch 146 Personen
in
Haft, 2 Jahre
später noch 81. Zehn Jahre nach Kriegsende betrug diese Zahl 49.
Ende 1960 waren alle Verurteilten entlassen worden bis auf 4
ursprünglich zum Tode
Verurteilte, deren Strafe inzwischen in eine lebenslängliche
Freiheitsstrafe umgewandelt
worden war. Einer wurde Juni 1966 krankheitshalber vorzeitig entlassen
(Fall NL171). Gegen
die Entlassung der drei übrigen formierte sich Anfang der
siebziger
Jahre in Opfer- und
Widerstandskreisen eine starke Opposition, die einen
beträchtlichen
Widerhall in der
niederländischen Bevölkerung und im Parlament fand. Nach
einigen
fehlgeschlagenen
Anläufen, konnte die Regierung schliesslich 1989 die letzten zwei
im
Gefängnis Breda
einsitzenden Verurteilten entlassen (Fälle NL095 und NL199). Der
Dritte
(Fall NL046) war
vorher in der Haft verstorben. Die überlange Haft dieser drei,
deren
Vorgesetzte und
Kollegen spätestens seit 1966 auf freiem Fuss waren, ist kein
Ruhmesblatt der
niederländischen Nachkriegsjustiz.
Die Verfolgung und
Aburteilung
Der Zeitrahmen
Das erste Urteil gegen einen Deutschen erging September 1945 und
betraf eine recht
unbedeutende Denunziation, die mit 6 Monaten Gefängnis geahndet
wurde.
Im Jahre 1946
kamen 3, in den ersten Monaten des Jahres 1947 2 Verfahren zum
Abschluss. Mit Ausnahme des
Verfahrens NL004 handelte es sich durchweg um Fälle
untergeordneter
Bedeutung, wobei die
Straftaten fast immer von (ausländischen) Privatpersonen, nicht
aber
von Organen der
Besatzungsmacht in amtlicher oder dienstlicher Eigenschaft begangen
worden waren.
Dann kommt - infolge einer gesetzlichen Unterlassung, auf die unten
näher eingegangen
werden wird - die Strafverfolgung deutscher und österreichischer
Täter
nahezu völlig
zum Stillstand. Erst ab Ende April 1948, nach einjähriger
Unterbrechung, fanden wieder
Gerichtsverhandlungen statt. Als erstes erging, Mai 1948, das auf
Todesstrafe lautende
Urteil gegen den Höheren SS- und Polizeiführer in den
Niederlanden, den
Oesterreicher
Hans Albin Rauter (NL010). Dem folgten 1948 44, 1949 147, 1950 33 und
1951 4 Verfahren.
Damit war - abgesehen von einem Wiederaufnahmeverfahren aus dem Jahre
1957 und von einem
Verfahren im Jahre 1980, das sich mit der recht späten Berufung
gegen
ein
Abwesenheitsurteil aus dem Jahre 1949 befasste - in den Niederlanden
die Strafverfolgung
ausländischer Täter wegen Straftaten begangen im zweiten
Weltkrieg zu
Ende.
Der rechtliche Rahmen
Die Grundlage für die Ahndung von mit Krieg und Besatzung
zusammenhängenden Straftaten
niederländischer und ausländischer Täter bildete
grundsätzlich das
Strafgesetzbuch und
die Strafprozessordnung in der bei Kriegsanfang bestehenden Fassung.
Allerdings wurden
1943 von der Exilregierung in London einige Änderungen und
Ergänzungen
beschlossen, die
auch nach dem Kriege weitgehend beibehalten wurden.
In materiellrechtlicher Hinsicht ist vor allem die Einführung
zweier Tatbestände von
Bedeutung, durch welche sich strafbar machte
- wer jemanden der Verfolgung durch die Besatzungsmacht (z.B. durch
Denunziation)
auslieferte
und
- wer sich unter Ausnutzung der Besatzungsverhältnisse an fremdem
Eigentum bereicherte.
Deswegen sind aber vor allem Niederländer und einige
ausländische
Privatpersonen
abgeurteilt worden. Denn als die Gerichte erster Instanz auch
Angehörige der deutschen
Besatzungsmacht wegen dieser Strafbestimmungen (und wegen Mordes,
Raubes u.ä.)
verurteilten, stellte das Revisionsgericht sich quer: diese seien,
soweit sie in amtlicher
oder dienstlicher Tätigkeit handelten, dem Völkerrecht und
allenfalls
ihrem eigenen -
deutschen - Recht, nicht aber dem nationalen niederländischen
Recht
unterworfen. Wegen
Völkerrechtsverletzungen, begangen auf niederländischem
Territorium
oder an
Niederländern im Ausland unterlägen sie nach dem
Völkerrecht zwar
durchaus der
niederländischen Strafgewalt und könnten somit von
niederländischen
Gerichten bestraft
werden. Nur habe, so das Revisionsgericht, die niederländische
Regierung es versäumt,
die Völkerrechtsverletzungen (Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen
die
Menschlichkeit) als
solche mit Strafe zu bedrohen und den niederländischen Richter
zur
Aburteilung dieser
Straftaten, begangen durch Angehörige feindlicher Organe, zu
ermächtigen [Verfahren
NL172).
Durch diese Revisionsentscheidung kam, wie oben dargelegt, die Ahndung
von Verbrechen,
begangen durch Deutsche und Oesterreicher, weitestgehend zum
Stillstand. Erst nach
Verabschiedung einer Gesetzesänderung im Juli 1947, durch welche
den
Auflagen des
Revisionsgerichts entsprochen wurde, nahm die Strafverfolgung wieder
ihren Lauf. Es sollte
aber bis Mai 1948 dauern, bis das erste Urteil auf dieser Grundlage
erging (Verfahren
NL010).
Diese Verzögerung hatte zwar zur Folge, dass die Untersuchungshaft
sich
verlängerte, sie
wirkte sich aber für die schwererer Verbrechen
Überführten eher
vorteilhaft aus: sie
wurden abgeurteilt in einer Zeit als die erste Wut und die grösste
Empörung über die
NS-Verbrechen schon etwas abgeklungen war und das anfänglich doch
recht
hohe Strafniveau
schon wieder nach unten tendierte.
In prozessualer Hinsicht ist vor allem von Bedeutung, dass die
Aburteilung ausserhalb
der ordentlichen Gerichtsbarkeit durch 5 sog. 'Besondere
Gerichtshöfe'
in der ersten
Instanz und ein 'Besonderes Revisionsgericht' in der obersten Instanz
stattfand.
Allerdings wurden diese Gerichte 1952 aufgehoben und die dann noch
anstehenden bzw.
später anfallenden Strafsachen dieser Art 'Besonderen
Strafkammern' bei
den Landgerichten
bzw. dem Hohen Rat der Niederlande als ordentlichem Revisionsgericht
übertragen.
Dass diese ebenfalls 1943 von der niederländischen Exilregierung
in
London geschaffene
Regelung sowohl für Niederländer als für Ausländer
galt und auch nach
Kriegsende mit
geringen Änderungen vom Parlament aufrecht erhalten wurde, kann
natürlich nicht darüber
hinwegtäuschen, dass hier Sondergerichte zur Aburteilung
von
Verbrechen von
Kollaborateuren, Nutzniessern und Angehörigen feindlicher Organe
geschaffen worden waren.
Das begründet einen gewissen Anfangsverdacht, die
Rechtsstaatlichkeit
dieser
sondergerichtlichen Rechtsprechung sei nicht gegeben.
Aufschlussreicher als das, was die Niederländer dazu meinen (sie
hielten und halten die
Rechtsstaatlichkeit sowohl formal als materiell durchweg für
gegeben)
ist wohl das Urteil
von deutschen Gerichten, die mit dieser niederländischer
Rechtsprechung
konfrontiert
wurden.
Das war 1980 der Fall, als der im Verfahren NL088 abgeurteilte
Angeklagte vor einem
deutschen Gericht stand wegen des Verdachts, in den letzten Kriegstagen
in den
Niederlanden zwei Juden erschossen zu haben (Verfahren JuNSV
Lfd.Nr.859). Die von dessen
Anwalt vorgetragenen Bedenken, bei den niederländischen Gerichten
handele es sich um ein
Ausnahme- oder Sondergerichte, die mit der niederländischen
Verfassung
nicht vereinbar
und deshalb nicht wirksam errichtet worden seien, wies das deutsche
Gericht als
unzutreffend zurück.
"Die niederländischen
Sondergerichtshöfe",
so das deutsche Gericht, "sind zwar nur durch Beschluss der
niederländischen Exilregierung in London vom 22. Dezember 1943
(Nr. D
62) zur Zeit verfassungsrechtlichen Notstandes eingerichtet, doch
sowohl von den niederländischen Nachkriegsregierungen wie auch vom
Parlament und der niederländischen Rechtsprechung - soweit
ersichtlich
ausnahmslos - aber als legal angesehen und bestätigt worden. Zudem
waren die Sondergerichtshöfe keine unzulässigen
Ausnahmegerichte. Sie
waren vor Begehung der den Angeklagten zur Last gelegten Taten für
bestimmte, abstrakt geregelte Sachgebiete errichtet und generell nicht
nur zur Entscheidung eines oder mehrerer Einzelfälle oder nur
bestimmter Personen eingesetzt. Die Vorschriften über ihre
Errichtung
und Besetzung und das nach der niederländischen
Strafprozessordnung
gehandhabte Verfahren erfüllten alle wesentlichen Anforderungen an
rechtsstaatliche Gerichtsverfahren, wovon sich die Kammer anhand der
mit den Verfahrensbeteiligten erörterten einschlägigen
niederländischen
Bestimmungen und dem erörterten formellen Inhalt der
Sitzungsprotokolle
des Sondergerichtshofes überzeugt hat und wie zudem es die Zeugen
V.
(heute Amtsrichter) und M. (heute Professor für Strafrecht), die
damals
als bereits examinierte Juristen als Protokollführer und Abfasser
von
Urteilsentswürfen an den Verhandlungen des Sondergerichtshofs in
Groningen mitgewirkt haben, bestätigt haben. .... Die am
niederländischen Vernehmungsort erforderlichen Förmlichkeiten
sind bei
den nach den dort gültigen Rechtssätzen stattgefundenen
Vernehmungen
berücksichtigt worden. Es handelte sich um richterliche
Vernehmungen,
weil die Mitglieder des Sondergerichtshofes im niederländischen
Rechtsgefüge die Stellung von Richtern einnahmen; mindestens 2 der
jeweils 3 Mitglieder des Sondergerichtshofes waren rechtsgelehrte
Richter der niederländischen ordentlichen Gerichtsbarkeit."
Für ein negatives Pauschalurteil,
basierend auf der Tatsache,
dass es sich hier um Sondergerichtsurteile gehandelt hat, ist somit
auch nach Ansicht der
Justiz des ehemaligen Kriegsgegners kein Raum.
Das bedeutet natürlich nicht, dass alle niederländische
Urteile gegen
Deutsche und
Oesterreicher wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die
Menschlichkeit Sternstunden
richterlichen Wirkens sind, wenn auch Gerichte in einer Reihe von
Verfahren durchaus
Verständnis für die Verhältnisse gezeigt hatten, unter
denen Angehörige
der
Besatzungsbehörden arbeiten mussten (vgl. z.B. NL033, NL034,
NL037,
NL068, NL073, NL099,
NL176, NL203, NL231).
Die Täter- und Opferausrichtung der Strafverfolgung
Die niederländische Strafverfolgung stand im
Zeichen der wiedergewonnenen Freiheit und
Unabhängigkeit und des dazu gegen die Besatzungsmacht und ihre
Helfer
geleisteten
Widerstandes. Die Verfolgung von Straftaten begangen im Rahmen dieses
Kampfes haben eine
eindeutig höhere Priorität bekommen als solche, die sich
gegen
Bevölkerungsgruppen
ihrer 'Rasse' oder Abstammung wegen richteten. Das spiegelt sich in dem
recht geringen
Prozentsatz der Verfahren mit jüdischen Opfern wieder (19%, eine
Zahl
die sich
allerdings, weil bei 48 Verfahren die Opfer nicht eindeutig
festgestellt werden konnten,
noch etwa erhöhen könnte).
Diese Verfolgungsausrichtung einerseits und die Behandlung dieser
aussergewöhnlichen
Kriminalität nach einem traditionellen, auf die üblichen
Straftaten
zugeschnitten
Erfahrungsmuster - und damit die Verkennung der besonderen Art dieser
Staatsverbrechen -
andererseits, haben dazu geführt, dass die niederländische
Strafverfolgung sich vor
allem auf zwei Kategorien von Tätern konzentriert hat
einmal auf die 'tatnahen' oder 'eigenhändigen' Täter, die
letzten
Glieder in der
Verbrechenskette und
zum anderen auf diejenigen, die als höchste Vertreter der
damaligen
Machthaber in
Erscheinung getreten und für ein breiteres Publikum zu Exponenten
des
Regimes geworden
waren.
Diejenigen, die weniger nach Aussen in Erscheinung traten oder sich mit
Tätigkeiten
beschäftigten, mit denen sich normalerweise nicht die Assoziation
eines
Verbrechens
verbindet - Verwaltung, Justiztätigkeit und dergl. - sind auch
dann von
der
niederländischen Justiz kaum belangt worden, wenn sie auf policy
making
level tätig
waren oder die Art und Weise der NS-Politik an hoher oder gehobener
Stelle massgeblich
mitbestimmt hatten.
So ist beim Stab des Befehlshabers der Sipo und des SD (BdS) die ganze
obere und
Mittelschicht unbehelligt geblieben. Von der Präsidialabteilung
des
höchsten Vertreters
des Dritten Reiches in Holland, des Reichskommissars Seyss Inquart -
immerhin 137 Männer
und Frauen -, stand niemand vor Gericht, obwohl gerade von ihr alle
grundsätzlichen
Richtlinien in Judenangelegenheiten ausgegangen waren. Alle
Angehörigen
des
Generalkommissariats für Verwaltung und Justiz - in etwa mit dem
Reichsinnen- und
Reichsjustizministerium vergleichbar - wurden genau so ohne Prozess
nach Hause geschickt
wie die deutschen Richter, die gegen etwa 750 Holländer
Todesurteile
verhängt hatten.
Nur bei einem Richter, dem Präsidenten eines Standgerichts, wurde
eine
Ausnahme gemacht.
Er wurde jedoch aus rechtlichen Gründen freigesprochen mit einer
Begründung, die auch
vom deutschen Bundesgerichtshof - bis er sich mit
Rechtsbeugungsfällen
von DDR-Richtern
konfrontiert sah - gehegt und gepflegt wurde (siehe Verfahren NL236).
Dass der betreffende
deutsche Standrichter einer der 5 höchsten Beamten des mit der
Judendeportation befassten
Stabes des BdS gewesen war, führte nicht einmal zur Anklage.
Urteile lesen
In der Verfahrensbeschreibung ist in einer
besonderer
Kategorie vermerkt, ob das Urteil veröffentlicht worden ist. Das
ist
nur bei 35 Verfahren
der Fall. Ausser bei den Verfahren NL010 (HSSPF Niederlande) und NL017
(Wehrmachtsbefehlshaber Niederlande) sind von diesen Urteilen nicht der
volle Wortlaut,
sondern nur solche Teile abgedruckt, die juristisch bedeutsam sind.
Aber auch wer über den vollständigen Urteilstext
verfügt, wird davon
nur einen sehr
begrenzten Nutzen haben, es sei denn, sein Interesse an den Verfahren
ist ein strikt
juristisches. Historiker, Soziologen, Psychologen und andere kommen
jedoch nicht auf ihre
Kosten. Das hängt mit der Technik der Beweiserhebung und der
Gestaltung
von
niederländischen Strafurteilen sowie damit zusammen, dass die
Rechtsprechung in den
Niederlanden ausschliesslich Sache von Juristen ist - Laien, in welcher
Form auch immer,
werden nicht beteiligt.
Auf einen (etwas verkürzten) Nenner gebracht, kann man sagen, dass
aus
einem
niederländischen Strafurteil zwar hervorgeht, wie der
Richter,
kaum aber warum
er so und nicht anders entschieden hat. Eine einigermassen umfassende
Sachverhaltsdarstellung fehlt ebenso wie Ausführungen über
die Person
des Angeklagten.
Auch eine Erörterung der Beweismittel, sowie eine Wertung oder
eine
Abwägung einander
widersprechender Beweismittel wird man im Urteil vergebens suchen. Das
beruht auf dem
Umstand, dass der niederländische Richter in seinem Strafurteil in
aller Regel die ihm
vorgelegten Beweismittel nicht zu erörtern und seine Wahl aus
einander
widersprechenden
Beweismitteln nicht zu begründen, ja nicht einmal anzugeben
braucht,
dass es solche
Widersprüche gab. Für die Strafzumessung reicht der Satz,
dass die
verhängte Strafe
'der Persönlichkeit des Angeklagten, der Schwere der Tat und den
gesamten Tatumständen'
entspricht. Auch zur Begründung eines Freispruchs aus
tatsächlichen
Gründen reicht ein
ähnlicher floskelhafter Satz.
Der Unterschied zu deutschen Strafurteilen lässt sich am Besten an
Hand
des
niederländischen und des deutschen Strafurteils gegen den bis
September
1943 in Holland
amtierende Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD
verdeutlichen. Dieser wurde 1949
in Holland zu 12 Jahren Freiheitsstrafe (NL097), 1967 in München
zu 15
Jahre Zuchthaus
verurteilt (JuNSV Lfd.Nr.645).
Das Münchner Urteil, das sich mit seinem Anteil an der
Judendeportation
beschäftigt,
umfasst 625 Schreibmaschinenseiten. Nach der Lektüre dieses
Urteils
weiss man ziemlich
genau, wie die Judendeportation in den Niederlanden nach Ansicht des
Gerichts vor sich
gegangen ist und welchen Tatbeitrag der Angeklagte dazu geleistet hat.
Die Dokumente
werden durchweg in Wortlaut wiedergegeben.
Das niederländische Urteil umfasst 10 Seiten. Etwa 5 davon
beschäftigen
sich mit dem
Anklagepunkt Judendeportation. Hier verweist das Urteil auf 13 zum
Beweis verwendete
Dokumente, ohne dass deutlich wird, was sie sachlich beinhalten. Und
weiter findet man im
Urteil aus der Erklärung des Angeklagten in der Hauptverhandlung
sowie
aus Protokollen
von Vernehmungen weiterer 10 Personen durch den Untersuchungsrichter
oder durch die
Polizei jeweils genau die 3 bis 4 Sätze, die zum Beweis der
einzelnen
Tatbestandsmerkmale
erforderlich sind.
Strafakten einsehen
Wer an einem bestimmten Fall interessiert ist,
kommt
deshalb nicht umhin, die Strafakten beizuziehen. Hier kann er den Lauf
der Ermittlungen
verfolgen sowie die Schriftsätze der Anwälte und
Staatsanwälte und die
Protokolle der
Vernehmungen des Angeklagten und von Zeugen durch Polizei und
Untersuchungsrichter
erforschen.
Die meisten Strafakten der niederländischen Verfahren sind
erhalten
geblieben und
befinden sich beim Algemeen Rijksarchief, Prins Willem-Alexanderhof 20,
Postfach 90520,
2509 LM Den Haag in den Niederlanden.
Die Strafakten haben allerdings einen Nachteil mit den Urteilen
gemeinsam: wer der
niederländischen Sprache nicht mächtig ist, dem werden auch
die
Strafakten ein Buch mit
sieben Siegeln bleiben."
QUELLE
für den obigen Text: www1.jur.uva.nl/junsv/NED/NL-Uebersicht.htm
(STAND
19.2.2010)
Niederländische
Strafverfahren gegen Deutsche und Österreicher
wegen im 2.Weltkrieg begangener NS-Verbrechen"
Siehe zu den Tätern und Verfahren auch:
Gesamtverzeichnis
Angeklagte
Dienststelle
des Angeklagten
Projekt-Redaktion
www1.jur.uva.nl/junsv/
justiz und ns-verbrechen / nazi crimes on trial
Institut für
Strafrecht
Prof. Dr. C.F. Rüter und Dr. D.W. de Mildt
Universität Amsterdam
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NL 1000 BA Amsterdam
Niederlande
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E-mail:
d.w.demildt [ AT ] uva.nl
QUELLE: (Siehe auch die
Themen-Seite des SPIEGEL www.spiegel.de/thema/heinrich_boere/)
www.spiegel.de/panorama/justiz/0,1518,657895,00.html
28.10.2009
NS-Verbrecher-Prozess
Killer im Auftrag
Hitlers
Aus
Aachen berichtet Jörg Diehl
Im
Zweiten Weltkrieg erschoss der SS-Mann
Heinrich Boere drei unschuldige Zivilisten - und kam bislang ungestraft
davon. Jetzt steht der 88-Jährige in Aachen vor Gericht. Die
Justiz tut
sich noch immer schwer mit einem Prozess, den sie lange vermieden hat.
Aachen - Der Mann,
um den es geht, ist alt und blass und grau.
Heinrich Boere, 88, sitzt in einem Rollstuhl, er trägt ein blaues
Hemd
und eine schwarze Hose. Sein Haar ist militärisch kurz, der Kragen
hingegen weit geöffnet. Neugierig blickt er sich um.
Der frühere
SS-Mann, einst Killer im Auftrag des "Führers", sitzt
hinter Panzerglas, ein Arzt und eine Pflegerin hinter ihm, zwei
Verteidiger zur Seite, 60 Journalisten aus Deutschland, den
Niederlanden und Großbritannien im Schwurgerichtssaal des
Aachener
Landgerichts, dazu noch einmal so viele Zuschauer, zwei
Staatsanwälte,
zwei Anwälte der Nebenklage, der Sohn eines der Erschossenen, ein
Begleiter, eine Dolmetscherin, eine Protokollantin, die Große
Strafkammer mit ihren fünf Richtern, mehrere Justizwachtmeister
und
Polizisten.
Alles seinetwegen.
Heinrich Boere,
1921 geboren in Eschweiler bei Aachen, dort immer
noch wohnhaft, in einer Seniorenresidenz, ist angeklagt, als
Angehöriger der "Germanischen SS in den Niederlanden" im
Kriegsjahr
1944 drei unschuldige und wehrlose Zivilisten ermordet zu haben.
Demnach schoss der damals 22-Jährige am 14. Juli den Apotheker
Fritz
Bicknese in Breda und am 3. September den Fahrradhändler Teunis de
Groot in Voorschoten sowie Frans-Willem Kusters in Wassenaar nieder.
Boere, Sohn eines
niederländischen Vaters und einer deutschen
Mutter, war "ein Fanatiker", wie er SPIEGEL ONLINE im August 2007
sagte. Ende 1940 hatte er sich als 18-Jähriger zur Waffen-SS
gemeldet
und fast zwei Jahre lang an der Ostfront gekämpft. 1942 kehrte er
in
die besetzten Niederlande zurück, wo er dem etwa 15 Mann starken
SS-Sonderkommando "Feldmeijer" zugeteilt wurde.
Diese Truppe hatte
den unmittelbar auf Hitler zurückgehenden und als
"Geheime Reichssache" eingestuften Auftrag, jeglichen aufkeimenden
Widerstand in den Niederlanden durch willkürliche
Erschießungen von
angeblich antideutsch eingestellten Bürgern zu brechen.
Kam es zu
Anschlägen auf die Besatzer oder ihre Kollaborateure,
setzte der Höhere SS- und Polizeiführer Hanns Albin Rauter
mit dem
Codewort "Silbertanne" sein Mordkommando in Bewegung. Mindestens 54
Niederländer sollen diesen SS-Auftragskillern zum Opfer gefallen
sein.
"Wir kannten die
Männer nicht. Der Sicherheitsdienst der SS gab uns
die Namen und wir machten uns auf den Weg", sagte Boere 2007 SPIEGEL
ONLINE. "Man sagte uns, es handele sich um Partisanen, um Terroristen.
Wir dachten, wir täten das Richtige." Also drückte er ab.
Gerechtigkeit? - "Dafür ist es viel zu spät"
Boere, und das
unterscheidet diesen Fall von anderen
Kriegsverbrecherprozessen, hat die drei Hinrichtungen nie bestritten.
Schon 1946 räumte er die Taten gleich in mehreren Vernehmungen
ein. Der
frühere SS-Sturmmann ist für die Morde auch schon einmal
verurteilt
worden, im Oktober 1949, von einem Amsterdamer Sondergerichtshof. Doch
da war Boere schon wieder in Eschweiler, wenige Kilometer hinter der
Grenze, und wurde nicht ausgeliefert.
Die Frage, die sich
nicht wenige Beobachter und Beteiligte des
Verfahrens an diesem Mittwochmorgen in Aachen stellen, lautet daher:
Worum geht es nun eigentlich?
Um Gerechtigkeit?
"Dafür ist es
viel
zu spät", sagt selbst der Rechtsanwalt Wolfgang
Heiermann, der die Söhne des getöteten Apothekers Bicknese in
der
Nebenklage vertritt. Eine Haftstrafe werde der gesundheitlich
angeschlagene Boere wohl ohnehin nie antreten müssen.
Also um Wahrheit?
"Wir wollen, dass
ein deutsches Gericht endlich feststellt: Es war
Mord", sagt der Rechtsanwalt Detlef Hartmann, der die Nebenklage
für
den inzwischen 77-jährigen Sohn des getöteten
Fahrradhändlers Teunis de
Groot übernommen hat. Sein Mandant habe den Vater "sehr geliebt
und
geachtet" und bewahre die Kugeln, mit denen dieser 1944 getötet
worden
sei, bis zum heutigen Tag auf. Er verlange Klarheit. Deshalb solle in
dem Verfahren auch deutlich werden, "was Boere im Krieg alles gemacht
hat", verkündet Hartmann. "Bis hinein in den Kaukasus."
Wenn sie sich da
nicht zu viel erwarten.
Jahrzehntelang hat
sich die deutsche Justiz gescheut, gegen den
Auftragskiller Boere vorzugehen. Die zuständige Zentralstelle
für
NS-Verbrechen stellte noch Anfang der achtziger Jahre ein
Ermittlungsverfahren gegen ihn mit der Begründung ein, die Taten
seien
als zulässige völkerrechtliche Repressalmaßnahmen der
Besatzer
gerechtfertigt gewesen. Erst im August 2007 holten die Dortmunder
Nazi-Jäger die angestaubten Akten wieder aus dem Keller.
"Tricks der Verteidigung"
Und nun, an diesem
Mittwoch, scheint es ebenfalls nicht so, als
könnten sich die großen Erwartungen der Nebenklage
erfüllen. Im
Schneckentempo beginnt der Prozess, dreimal unterbricht die Kammer, bis
der Vorsitzende Richter Gerd Nohl den ersten Verhandlungstag nach
anderthalb Stunden für beendet erklärt und den nächsten
Termin gleich
ganz absagt. Da ist noch nicht einmal die Anklage verlesen.
Nur die
Verteidigung kann sich freuen. Ihr Schachzug, die Sitzung
mit einem Befangenheitsantrag gegen Oberstaatsanwalt Ulrich Maaß
zu
beginnen, scheint für den Moment erfolgreich gewesen zu sein.
Der Ankläger
erwecke den Anschein, den Grundsatz eines fairen
Verfahrens zu missachten, sagt Verteidiger Gordon Christiansen. "Er ist
in der Sache nicht ergebnisoffen." In vielen Interviews habe der
Ermittler deutlich gemacht, dass er eine Verurteilung um jeden Preis
wolle. Die Staatsanwaltschaft kann nun bis Montag zu den Vorwürfen
Stellung nehmen.
"Ich bin
verärgert
über die Tricks der Verteidigung", empört sich am
Mittag der als Nebenkläger auftretende Sohn eines der Opfer, Teun
de
Groot. Er habe eigentlich ein Statement an Boere richten wollen, das
nun sein Anwalt am nächsten Sitzungstag verlesen werde. Er selbst
wolle
nicht wieder erscheinen.
Und der,
dessentwegen sie alle hier sind?
Heinrich Boere
nimmt den vorzeitigen Abbruch der Verhandlung
regungslos zur Kenntnis. Eine Pflegerin wirft ihm eine schwarze
Lederjacke über, dann wird der frühere SS-Mann aus dem Saal
geschoben.
Er hat an diesem Mittwoch kaum etwas gesagt. Auf die Frage des Gerichts
nach seiner Nationalität antwortet er knapp: "Staatenlos." Und
dann,
nach kurzer Pause: "Deutsch."
Doch das schien
schon niemand mehr gehört zu haben.
QUELLE:
www.ksta.de/html/artikel/1189361568239.shtml
NS-Mörder im Schutz des Völkerrechts
Von DETLEF SCHMALENBERG,
09.09.07, 22:03h, aktualisiert 17.04.08, 09:05h
Ein bizarres
Stück deutscher
Nachkriegsgeschichte und ein geständiger Täter: Der
SS-Scherge Heinrich
Boere lebt unbehelligt in Eschweiler bei Aachen. Obwohl er 1944 drei
Menschen getötet hat, muss der rechtskräftig Verurteilte
nicht ins
Gefängnis.
Bericht aus dem
Kölner Stadt-Anzeiger" vom 10.9.2007
Kaltblütiger
kann ein Mörder kaum
vorgehen. Als Heinrich Boere den
Befehl bekommt, drei Menschen zu töten, zögert er keinen
Moment. Im
Frühsommer 1944 fährt der 22-Jährige zum Haus des
Apothekers Bicknese
im niederländischen Breda. Ob er der Gesuchte sei, fragt Boere den
Apotheker, der gerade eine Kundin bedient. Als der Mann die Frage
bejaht, zieht Boere seine in der rechten Manteltasche steckende Pistole
und schießt.
Etwa
sechs Wochen später, am 4.
September 1944,
wiederholt sich das Szenario gleich zweimal. Der Befehl, die Fahrt zum
Wohnort der Opfer, Schüsse. Eines der Opfer lockt Boere vor der
Ermordung noch in sein Auto, angeblich weil er den Personalausweis
überprüfen musste. Auf der vermeintlichen Fahrt zur
Polizeiwache, nach
einer vorgetäuschten Autopanne, fallen die tödlichen
Schüsse.
Die
Geschichte von Heinrich Boere ist die Geschichte einer Niederlage. Sie
erzählt von der Hilflosigkeit der Justiz, die ein Verbrechen wegen
eines Formfehlers nicht sühnt. Ein Stück Nachkriegsgeschichte
- bizarr,
skandalös, traurig.
Henrich
Boere, in den Niederlanden
geboren,
hat sich Ende 1940 freiwillig zur Waffen-SS gemeldet und fast zwei
Jahre lang an der Ostfront gekämpft. Sein Eintritt in die selbst
ernannte Eliteeinheit war möglich, weil er eine deutsche Mutter
hatte.
1942 kehrte er als Mitglied der "Germanischen SS in den Niederlanden"
dorthin zurück. Zwei Jahre zuvor hatte die Wehrmacht das Land
besetzt.
Die Deutschen hatten zunächst eine Militärverwaltung
errichtet, neben
die jedoch schon bald eine Zivilverwaltung trat. An deren Spitze wurden
SS-Funktionäre berufen. Zur Jahreswende 1942 / 43, als sich der
Krieg
im Osten zugunsten der Sowjetunion zu entwickeln schien, machten sich
die ersten Widerstandsgruppen bemerkbar.
Neben
den sich
häufenden Angriffen auf militärische Anlagen gab es immer
mehr
Attentate auf hochgestellte Beamte oder Politiker, die als
deutschfreundlich bekannt waren. Oder auf Holländer, die kraft
ihrer
Stellung im öffentlichen Leben notwendigerweise mit den Deutschen
zusammenarbeiten mussten und sich dabei loyal verhielten.
Im
Sommer 1943 wurden auf Befehl Hitlers vom Auswärtigen Amt, dem
Wehrmachtführungsstab und dem Reichssicherheitshauptamt Pläne
für die
Bekämpfung der Widerstandsgruppen in den besetzten Westgebieten
ausgearbeitet. Hierbei entschied man sich für Maßnahmen, die
in den
Niederlanden den Decknamen "Silbertanne" erhielten. Geheimaktionen, bei
denen nach einem Anschlag der niederländischen Untergrundbewegung
möglichst umgehend drei bis fünf antideutsch eingestellte
Holländer
erschossen werden sollten. Männer, von denen meist angenommen
wurde,
dass sie den Widerstand unterstützen.
Bis
April 1944 wurden die
Exekutionen von Angehörigen der "Germanischen SS in den
Niederlanden"
durchgeführt. Danach, bis zum September 1944, von einem 15 Mann
starken
Kommando, das nach dem Führer der Germanischen SS "Sonderkommando
Feldmejer" genannt wurde. Vor ihren Einsätzen wurden die
Angehörigen
des Sonderkommandos darauf hingewiesen, dass es sich um eine "Geheime
Reichssache" handele und deshalb Stillschweigen zu bewahren und die
Befehle genauestens auszuführen seien. Andernfalls drohe ein
Verfahren
vor einem SS- und Polizeigericht, das zur Einweisung in ein
Konzentrationslager oder zur Todesstrafe führen könne.
Bei
der
Tatausführung trugen die niederländischen SS-Angehörigen
oder auch die
Angehörigen der Sicherheitspolizei Zivilkleidung. Die Kennzeichen
der
benutzten Kraftfahrzeuge wurden oft gegen falsche ausgewechselt. Die
Opfer wurden meistens in ihrer Wohnung aufgesucht und dort oder in der
Nähe ohne Angabe von Gründen erschossen. Insgesamt fielen
mindestens 54
Niederländer den Silbertanne-Aktionen zum Opfer.
Heinrich
Boere
war Mitglied des "Sonderkommando Feldmejer". Nach Kriegsende wurde er
im Mai 1945 verhaftet. Man habe ihm gesagt, bei den unschuldigen Opfern
würde es sich um terroristische Widerstandskämpfer handeln,
soll Boere
gesagt haben, als er die Tötungen im Polizeiverhör gestand.
Einige
Wochen später jedoch konnte er fliehen, tauchte im Bereich Aachen
unter
und arbeitete als Bergmann. In Abwesenheit wurde Boere am 18. Oktober
1949 vom Sondergerichtshof Amsterdam unter anderem wegen mehrfachen
Mordes zum Tode verurteilt. Da die Todesstrafe nicht innerhalb von
fünf
Jahren vollstreckt werden konnte, wurde sie automatisch in eine
lebenslange Freiheitsstrafe umgewandelt.
Nachdem
Boere in
Deutschland enttarnt wurde, beantragte die Niederlande 1980 die
Auslieferung. Diese sei jedoch nicht zulässig, weil der
Beschuldigte
womöglich als Deutscher und nicht mehr als Niederländer
einzuordnen
sei, urteilte im Mai 1983 das Oberlandesgericht Köln. Denn die
Niederlande hatten Boere wegen der Zugehörigkeit zur Waffen-SS die
Staatsbürgerschaft aberkannt. Da es in Deutschland kein
Einbürgerungsverfahren gegeben hatte, gingen die hiesigen
Behörden
davon aus, dass der ehemalige SS-Scherge als staatenlos zu gelten habe.
Anders jedoch das Kölner Oberlandesgericht. Es könne nicht
"mit der
erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden", ob Boere 1940 durch
seine Einstellung in die Waffen-SS "die deutsche
Staatsangehörigkeit
erworben haben könnte". Die Richter stützten sich bei ihrer
Argumentation auf einen Erlass des Nazi-Regimes "über den Erwerb
der
deutschen Staatszugehörigkeit" vom Mai 1943.
Nachdem
der
Auslieferungsbeschluss aufgehoben worden war, weil deutsche
Staatsbürger prinzipiell nicht ins Ausland ausgeliefert werden,
wurden
auch die strafrechtlichen Ermittlungen bei der für
nationalsozialistische Verbrechen zuständigen
Schwerpunktstaatsanwaltschaft in Dortmund eingestellt. Boere habe
damals auf Befehl gehandelt, lautete die Begründung. Es gebe
keinerlei
Anhaltspunkte dafür, dass er "von der Unrechtmäßigkeit
der angeordneten
Maßnahmen ausgegangen wäre".
Im
Juni 2003 beantragte das
niederländische Justizministerium erneut, die lebenslange
Haftstrafe
gegen Boere zu vollstrecken. Im Februar 2007, nach jahrelangem
juristischem Tauziehen, entschied das Amtsgericht Aachen, dass Boeres
Verurteilung in Amsterdam rechtens war und er seine Haftstrafe deshalb
jetzt in Deutschland antreten müsse. Bei den Tötungen handele
es sich
schon "deshalb um keine rechtmäßigen Kriegshandlungen, weil
sie nicht
durch die bewaffnete Militärmacht, sondern durch Angehörige
der
Germanischen SS . . . vorgenommen wurden und zudem die Opfer auch nicht
als Widerstandskämpfer beim Kampf betroffen oder auf der Flucht
ergriffen worden waren oder sich zumindest in Aktionsbereitschaft
befunden hatten", heißt es im Urteil. Zudem müsse davon
ausgegangen
werden, "dass dem Verurteilten die Rechtswidrigkeit der
Erschießung
unschuldiger Zivilisten klar war und dass er den verbrecherischen Zweck
der Erschießungsbefehle klar erkannt hatte".
Dieser
Einschätzung folgte zwar auch das Oberlandesgericht Köln, wo
Boere
Beschwerde gegen den Haftantritt eingelegt hatte. Aber die Kölner
Juristen hoben das Urteil des Landgerichts Aachen dennoch wieder auf.
So grotesk es klingt: Der nach Ansicht der Richter "heimtückische"
Mörder kann sich auf internationales Völkerrecht berufen. Es
geht um
Fairness in Gerichtsverfahren und die Menschenwürde des
Angeklagten.
Weil
die Niederländer dem Beschuldigten damals keinen
Pflichtverteidiger
zugeordnet hätten, sei ihm die "nach völkerrechtlich
verbindlichen
Mindeststandard" vorgeschriebene "angemessene Verteidigung" nicht
gewährt worden. Boere war damals zwar geflohen. Doch der Anwalt
hätte,
auch nach dem Verschwinden des Verdächtigen, an der
Gerichtsverhandlung
teilnehmen können, um dessen Interessen zu vertreten. Vor dem
Amsterdamer Sondergerichtshof sei es 1949 schließlich um
"schwierige
Rechtsfragen aus dem Bereich des Kriegsstrafrechts, insbesondere um die
Frage des Handelns in Befehlsnotstand" gegangen.
"Bei
dieser
Sachlage bedurfte es zur Wahrung prozessualer Waffengleichheit im
Interesse des fairen und gerechten Strafverfahrens der Bestellung eines
Offizialverteidigers", so die OLG-Richter. Dass das "prozessrechtliche
Institut des Pflichtverteidigers" in den Niederlanden niemals existiert
hat, dürfe jetzt nicht dazu führen, "von den dargelegten
Mindeststandards abzuweichen".
Kein
Pflichtverteidiger, kein
gültiges Urteil - eine Einschätzung, die auch den Kölner
Richtern
Bauchschmerzen bereitete. Der Senat verkenne nicht, "dass es
unbefriedigend erscheint", Boere "nicht für die Taten zur
Verantwortung
zu ziehen, die er vom Tatgeschehen her vollständig eingeräumt
hat und
für die er in diesem wie auch in den früheren Verfahren kein
Wort der
Reue gefunden hat", heißt es im Urteil.
Boere,
vom "Kölner
Stadt-Anzeiger" telefonisch um eine Stellungnahme zum Urteil gebeten,
ist das wohl egal. "Arschloch", rief der 85-jährige frühere
SS-Killer,
bevor er den Telefonhörer auflegte. Fragen nach den Menschen, die
er
kaltblütig erschossen hat, sind ihm wohl nur noch lästig.
1983 entging Boere der Auslieferung
|
07.07.2003, 11:11
QUELLE:
neu.az-web.de/az/suche/archiv_alt.php?num_id=175079&archiv_id=1&str_todo
=suchen&str_suchbegriff=boere&num_start=0&num_limit=5#detail
Eschweiler
(an-o/fe) - Sein Status als ehemaliger Wehrmachtsangehöriger
rettete Heinrich Boere im Jahr 1980 vor der Auslieferung in die
Niederlande.
Heinrich
Boere. Geboren 27. September 1921 in Eschweiler. Seine Mutter
ist eine deutsche Kriegerwitwe, sein Vater Holländer. Und
arbeitslos.
Die Familie zieht nach Limburg, als Heinrich zwei Jahre alt ist. Er
wächst in Maastricht auf. Der Familie geht es schlecht. "Wir waren
neun
Personen, wir haben nur Brot gehabt und das nicht immer." Als die
Deutschen in Holland einmarschieren und Bomben auf die Festung
Eben-Emael fallen, weckt die Mutter ihn auf, freudig erregt: "Die
Deutschen kommen!" Heinrich Boere meldet sich freiwillig zur SS, wird
in München ausgebildet, kommt an die Ostfront. Kurz vor Stalingrad
wird
er krank, sein nächster Einsatzort sind die Niederlande.
Sprung aus dem
Bus
Bei Kriegsende
kommt er in amerikanische Gefangenschaft, wird den
Holländern überstellt. 1947 ist er im Lager Valkenburg und
arbeitet als
Bergmann in der Grube Eigelshoven, als er erfährt: "Morgen kommst
du
nach Den Haag." Da soll er im Prozess gegen Hans Albin Rauter aussagen.
Rauter war Generalkommissar für das Sicherheitswesen in den
Niederlanden und auch für "Silbertanne" verantwortlich, er wird
zum
Tode verurteilt und am 25. März 1949 hingerichtet. Für Boere
ist klar:
"Wenn ich gegen den zeuge, komme ich nie weg." Auf dem Transport zur
Arbeit springt er aus dem Bus, als dieser in einer Heerlener
Unterführung langsam fährt. Es ist ein Ersatzbus, bei dem die
Türgriffe
innen nicht abgeschraubt sind. Und Boere hat die Mitgefangenen gebeten,
laut zu singen und leise die Tür wieder zuzuziehen.
Über die
grüne Grenze kommt er nach Deutschland, verbirgt sich
zunächst bei
Verwandten in Nothberg. Ein Pfarrer verschafft ihm Arbeit im Bergbau in
Alsdorf. 1978 wird er als 54-Jähriger verrentet. In den
Niederlanden
wird ihm der Prozess gemacht. Am 18. Oktober 1949 wird Boere in
Abwesenheit zum Tode verurteilt. Doch in Deutschland gilt er durch
seine Zugehörigkeit zur Wehrmacht als Deutscher, deshalb wird er
nicht
ausgeliefert. 1980 wird die Strafe in lebenslänglich umgewandelt
und
ein Auslieferungsverfahren in Gang gesetzt. Boere wehrt sich, der
Prozess geht bis zum Oberlandesgericht. Er sitzt mehrere Monate in der
Aachener Justizvollzugsanstalt, dann kommt 1983 das Urteil: Mit zwei zu
zwei Richterstimmen wird die Auslieferung abgelehnt.
QUELLE:
www.rechtscentrum.de/search.php?db=strafrecht&mode=category&feld
=Internationales%20Recht&gebiet=Sonstiges
OLG Köln -
LG
Aachen
3.7.2007
2 Ws 156/07
1. Zu den
Voraussetzungen der Übernahme der Vollstreckung einer im
Jahre 1949 durch ein niederländisches Sondergericht gegen einen
früheren Angehörigen der germanischen SS verhängten
Todesstrafe, die
inzwischen in eine lebenslange Gefägnisstrafe umgewandelt worden
ist.
2. Der in den
Niederlanden aufgrund königlichen Erlasses vom 22.12.1943
über die Besonderen Gerichtshöfe (Besluit op de Bijzondere
Gerechtshoven) errichtete Sondergerichtshof Amsterdam war ein
unabhängiger Spruchkörper. Allein der Umstand, dass das zu
vollstreckende Urteil von einem Sondergericht verhängt wurde,
steht
damit der Übernahme der Vollstreckung nicht entgegen. Ein
Verstoß gegen
die über Art. 25 GG zu beachtenden Grundsätze elementarer
Verfahrensgerechtigkeit liegt demnach nicht vor.
3. Die vom
Beschwerdeführer im Jahre 1944 als Angehöriger der
germanischen SS ausgeführten Tötungen von drei Personen aus
der
niederländischen Widerstandsbewegung sind sowohl nach dem im
Zeitpunkt
der Verurteilung in den Niederlanden geltenden Recht als auch nach
deutschem Recht als Mord zu werten. Es liegen keine Rechtfertigungsoder
Schuldausschließungsgründe vor.
4. Die
Voraussetzungen einer Vollstreckbarkeitserklärung (vgl. § 49
Abs. 1 Nr. 2 IRG) liegen indes nicht vor. Das zur Verurteilung im Jahre
1949 führende niederländische Verfahren genügte nicht
dem
völkerrechtlich verbindlichen Mindeststandard. Dem in Abwesenheit
verurteilten Beschwerdeführer, der sich dem Verfahren durch Flucht
entzogen hatte, wurde kein Verteidiger bestellt. Dadurch waren die
rechtsstaatlichen Mindestanforderungen nicht mehr gewahrt.
5. Dem
Beschwerdeführer stand zudem keine effektive Möglichkeit zur
Verfügung, sich im Nachhinein rechtliches Gehör zu
verschaffen und sich
zu verteidigen. Eine solche Möglichkeit stellte insbesondere nicht
der
nach niederländischem Recht gegen Abwesenheitsurteile statthafte
Einspruch ("verzet", vgl. Art. 339 Wetboek van Strafvordering in der im
Jahre 1983 gültigen Fassung) dar.
6. Für eine
effektive, nachträgliche Rechtsschutzmöglichkeit kommt es
zum einen darauf an, dass der Verurteilte Kenntnis vom
vollständigen
Inhalt des in Abwesenheit verkündeten Urteils erhält. Zum
anderen
schließt der Anspruch auf ein faires Verfahren die Erteilung
einer
Rechtsmittelbelehrung in Bezug auf das Abwesenheitsurteil ein, wenn
dies zur effektiven Wahrnehmung und Sicherung der Rechte im
"Nachverfahren" geboten ist.
IRG § 49
Aktenzeichen: 2Ws156/07 Paragraphen: IRG§49 Datum: 2007-07-03
QUELLE:
www.hrr-strafrecht.de/hrr/eugh/07/c-297-07.php?
referer=db
EuGH C-297/07 (Zweite Kammer) - Urteil vom 11. Dezember 2008 (Klaus
Bourquain)
Schengener
Durchführungsübereinkommen; Verbot der Doppelbestrafung
(Verurteilung in Abwesenheit wegen derselben Tat; Begriff der
rechtskräftigen Aburteilung; Begriff der "nicht mehr
vollstreckbaren
Sanktion"; zeitlicher Anwendungsbereich).
Art. 54 SDÜ
Leitsätze des Bearbeiters
1.
Das in Art. 54 SDÜ niedergelegte Verbot der Doppelbestrafung
findet auf ein Strafverfahren Anwendung, das in einem Vertragsstaat
wegen einer Tat eingeleitet wird, für die der Angeklagte bereits
in
einem anderen Vertragsstaat rechtskräftig abgeurteilt worden ist,
selbst wenn die Strafe, zu der er verurteilt wurde, nach dem Recht des
Urteilsstaats wegen verfahrensrechtlicher Besonderheiten (vorliegend
die Notwendigkeit eines zweiten Verfahrens bei "Wiederauftauchen" nach
einem Abwesenheitsurteil gemäß französischem Code de
justice militaire
pour l'armée de terre), nie unmittelbar vollstreckt werden
konnte.
2. Art 54 SDÜ gebietet nicht, dass die Sanktion nach dem Recht des
Urteilsstaats unmittelbar vollstreckbar gewesen sein muss, sondern
verlangt nur, dass die mit einer rechtskräftigen Entscheidung
verhängte
Strafe "nicht mehr vollstreckt werden kann". Die Wörter "nicht
mehr"
beziehen sich auf den Zeitpunkt der Einleitung einer neuen
Strafverfolgung, in Bezug auf die das zuständige Gericht im
zweiten
Vertragsstaat zu prüfen hat, ob die Voraussetzungen nach Art. 54
SDÜ
erfüllt sind.
3. Grundsätzlich ist auch eine Verurteilung in Abwesenheit vom
Anwendungsbereich des Art. 54 SDÜ erfasst und somit ein
Verfahrenshindernis für die Einleitung eines neuen Verfahrens.
Urteil
1 Das
Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 54
des Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens
von Schengen vom
14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der
Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der
Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der
Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen (ABl. 2000, L 239, S. 19, im
Folgenden: SDÜ), das am 19. Juni 1990 in Schengen (Luxemburg)
unterzeichnet worden ist.
2 Dieses Ersuchen
ergeht im Rahmen eines Strafverfahrens wegen
Mordes, das am 11. Dezember 2002 in Deutschland gegen Herrn Bourquain,
einen deutschen Staatsangehörigen, eingeleitet wurde, während
ein
Strafverfahren, das ein Gericht eines anderen Vertragsstaats wegen
derselben Tat gegen diese Person eingeleitet hatte, am 26. Januar 1961
bereits zu einer Verurteilung in Abwesenheit geführt hatte.
Rechtlicher Rahmen
Recht der
Europäischen Union
3 Art. 1 des
Protokolls zur Einbeziehung des Schengen-Besitzstands
in den Rahmen der Europäischen Union, das durch den Vertrag von
Amsterdam dem Vertrag über die Europäische Union und dem
Vertrag zur
Gründung der Europäischen Gemeinschaft beigefügt wurde
(im Folgenden:
Protokoll), ermächtigte 13 Mitgliedstaaten der Europäischen
Union,
darunter die Bundesrepublik Deutschland und die Französische
Republik,
untereinander eine verstärkte Zusammenarbeit im Rahmen des
Schengen-Besitzstands, wie dieser im Anhang zu diesem Protokoll
festgelegt ist, zu begründen.
4 Der so
festgelegte Schengen-Besitzstand umfasst u. a. das am 14.
Juni 1985 in Schengen unterzeichnete Übereinkommen zwischen den
Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der
Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik
betreffend
den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen (ABl.
2000, L 239, S. 13) sowie das SDÜ.
5 Der Rat der
Europäischen Union erließ gemäß Art. 2 Abs. 1
Unterabs. 2 Satz 2 des Protokolls am 20. Mai 1999 den Beschluss
1999/436/EG zur Festlegung der Rechtsgrundlagen für die einzelnen
Bestimmungen und Beschlüsse, die den Schengen-Besitzstand bilden,
nach
Maßgabe der einschlägigen Bestimmungen des Vertrags zur
Gründung der
Europäischen Gemeinschaft und des Vertrags über die
Europäische Union
(ABl. L 176, S. 17). Aus Art. 2 dieses Beschlusses in Verbindung mit
dessen Anhang A ergibt sich, dass der Rat die Art. 34 EU und 31 EU als
Rechtsgrundlagen für die Art. 54 bis 58 SDÜ festgelegt hat.
6 Art. 54 SDÜ,
der
zu Kapitel 3 ("Verbot der Doppelbestrafung") des
Titels III ("Polizei und Sicherheit") gehört, sieht vor:
"Wer durch eine
Vertragspartei rechtskräftig abgeurteilt worden ist,
darf durch eine andere Vertragspartei wegen derselben Tat nicht
verfolgt werden, vorausgesetzt, dass im Fall einer Verurteilung die
Sanktion bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder
nach dem Recht des Urteilsstaats nicht mehr vollstreckt werden kann."
7 Art. 57 Abs. 1
und 2 SDÜ bestimmt:
"(1) Ist eine
Person im Hoheitsgebiet einer Vertragspartei wegen
einer Straftat angeschuldigt und haben die zuständigen
Behörden dieser
Vertragspartei Grund zu der Annahme, dass die Anschuldigung dieselbe
Tat betrifft, derentwegen der Betreffende im Hoheitsgebiet einer
anderen Vertragspartei bereits rechtskräftig abgeurteilt wurde, so
ersuchen sie, sofern sie es für erforderlich halten, die
zuständigen
Behörden der Vertragspartei, in deren Hoheitsgebiet die
Entscheidung
ergangen ist, um sachdienliche Auskünfte.
(2) Die erbetenen
Auskünfte werden so bald wie möglich erteilt und
sind bei der Entscheidung über eine Fortsetzung des Verfahrens zu
berücksichtigen."
8 Art. 58 SDÜ
lautet:
"Die vorstehenden
Bestimmungen stehen der Anwendung weiter gehender
Bestimmungen des nationalen Rechts über die Geltung des Verbots
der
Doppelbestrafung in Bezug auf ausländische Justizentscheidungen
nicht
entgegen."
9 In Bezug auf den
territorialen Anwendungsbereich der Art. 54 bis
58 SDÜ ergibt sich aus Art. 6 des Beschlusses 1999/436, dass
dieser
Anwendungsbereich in Art. 138 SDÜ festgelegt wird. Diese
Vorschrift
bestimmt:
"Die Bestimmungen
dieses Übereinkommens gelten für die Französische
Republik nur für das europäische Hoheitsgebiet der
Französischen
Republik.
..."
10 Aus der im
Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 1. Mai
1999 veröffentlichten Information über den Zeitpunkt des
Inkrafttretens
des Vertrags von Amsterdam (ABl. L 114, S. 56) ergibt sich, dass die
Bundesrepublik Deutschland eine Erklärung nach Art. 35 Abs. 2 EU
abgegeben hat, mit der sie die Zuständigkeit des Gerichtshofs
für
Entscheidungen gemäß Art. 35 Abs. 3 Buchst. b EU anerkannt
hat.
Nationales Recht
11 Art. 120 Abs. 7
bis 9 des französischen Code de justice militaire
pour l'armée de terre (Militärgerichtsgesetzbuch für
die
Landstreitkräfte, JORF vom 15. März 1928) bestimmte in der am
26.
Januar 1961 geltenden Fassung:
"Das in Abwesenheit
in ordentlicher Form ergangene Urteil wird ...
dem nicht erschienenen Angeklagten oder an seinen Wohnsitz zugestellt.
Der nicht
erschienene Angeklagte kann innerhalb von fünf Tagen ab
dieser Zustellung Einspruch einlegen. Hat er innerhalb dieser Frist
keinen Einspruch eingelegt, gilt das Urteil als in Anwesenheit ergangen.
Sofern jedoch nicht
persönlich zugestellt wurde oder sich aus
Maßnahmen zur Vollstreckung des Urteils ergibt, dass der
Verurteilte
davon Kenntnis erlangt hat, bleibt der Einspruch bis zum Ablauf der
Frist für die Verjährung der Strafe zulässig."
12 Art. 121 des
genannten Gesetzbuchs legte in der zur maßgebenden
Zeit geltenden geänderten Fassung durch Verweisung auf Art. 639
des
französischen Code de procédure pénale
(Strafprozessordnung) fest, dass
dann, wenn die in Abwesenheit verurteilte Person wieder auftaucht,
bevor die Strafe verjährt ist, nicht diese Strafe vollstreckt
wird,
sondern ein neues Verfahren in Anwesenheit des Angeklagten eingeleitet
wird.
13 Nach Art. 763
des Code de procédure pénale beträgt die
Verjährungsfrist für die Vollstreckung einer Strafe, auf die
Art. 120
Abs. 9 und Art. 121 des genannten Code de justice militaire verweisen,
20 Jahre.
14 Art. 1 des
Amnestiegesetzes Nr. 68-697 vom 31. Juli 1968 (JORF
vom 2. August 1968, S. 7521), der zu Titel I ("Generalamnestie für
alle
Straftaten im Zusammenhang mit den Ereignissen in Algerien") dieses
Gesetzes gehört, bestimmt:
"Alle Straftaten,
die im Zusammenhang mit den Ereignissen in
Algerien begangen wurden, sind von Rechts wegen amnestiert.
Als im Zusammenhang
mit den Ereignissen in Algerien begangen gelten
alle Straftaten, die von in Algerien dienenden Soldaten während
des von
Abs. 1 abgedeckten Zeitraums begangen wurden."
15 Art. 4 Abs. 1
dieses Gesetzes bestimmt, dass die darin
vorgesehene Amnestie die Wirkungen entfaltet, die in den Art. 9 bis 16
des Gesetzes Nr. 66-396 vom 17. Juni 1966 über die Amnestie
für
Straftaten gegen die Sicherheit des Staates oder im Zusammenhang mit
den Ereignissen in Algerien (JORF vom 18. Juni 1966, S. 4915)
festgelegt werden.
16 Art. 9 des
Gesetzes Nr. 66-396 bestimmt:
"Die Amnestie
bewirkt, ohne dass sie je zu einer Rückerstattung
führen könnte, den Erlass sämtlicher Hauptstrafen,
Nebenfolgen und
Nebenstrafen, insbesondere der Verbannung aus dem Kernland, sowie die
Aufhebung aller daraus folgenden Verbote und Rechtsverluste. Sie setzt
den Täter wieder in die Vergünstigung der Strafaussetzung
ein, die ihm
eventuell anlässlich einer früheren Verurteilung gewährt
wurde."
17 Art. 15 dieses
Gesetzes lautet:
"Es ist jeder
Person, die davon in Ausübung ihres Amtes Kenntnis
erlangt hat, untersagt, in irgendeiner Form auf durch die Amnestie
getilgte strafrechtliche Verurteilungen ... hinzuweisen oder ihren
Vermerk in einem Dokument gleich welcher Art zu belassen. Dieses Verbot
gilt jedoch nicht für die Urschriften von Urteilen und
Entscheidungen."
Sachverhalt des
Strafverfahrens und Vorlagefrage
18 Am 26. Januar
1961 wurde Herr Bourquain, der in der französischen
Fremdenlegion diente, in Bône (Algerien) vom Ständigen
Gericht der
Streitkräfte der Zone Est Constantinoise wegen Desertion und
vorsätzlicher Tötung in Abwesenheit zum Tode verurteilt.
19 Dieses Gericht,
das den französischen Code de justice militaire
pour l'armée de terre anwandte, sah es als erwiesen an, dass
Herr
Bourquain am 4. Mai 1960 bei seiner Desertion an der
algerisch-tunesischen Grenze einen anderen Legionär ebenfalls
deutscher
Staatsangehörigkeit, der ihn am Desertieren hindern wollte,
erschossen
hat.
20 Herr Bourquain,
der sich in die Deutsche Demokratische Republik
abgesetzt hatte, soll von der Zustellung des in Abwesenheit ergangenen
Urteils keine Kenntnis erlangt haben, und die mit dem Urteil, das als
in Anwesenheit ergangen galt, verhängte Strafe konnte nicht
vollstreckt
werden.
21 In der Folgezeit
kam es weder in Algerien noch in Frankreich zu
einer weiteren Strafverfolgung von Herrn Bourquain. Im Übrigen
wurden
in Frankreich alle im Zusammenhang mit dem Algerienkrieg begangenen
Straften mit den oben erwähnten Gesetzen amnestiert. Dafür
wurden in
der Bundesrepublik Deutschland wegen derselben Tat Ermittlungen gegen
Herrn Bourquain eingeleitet, und im Jahr 1962 wurde den Behörden
der
ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik ein Haftbefehl
überstellt,
der von diesen zurückgewiesen wurde.
22 Ende 2001 wurde
bekannt, dass Herr Bourquain im Raum Regensburg
(Deutschland) wohnt. Am 11. Dezember 2002 erhob die Staatsanwaltschaft
Regensburg gegen ihn wegen derselben Tat bei dem vorlegenden Gericht
Anklage wegen Mordes gemäß § 211 des deutschen
Strafgesetzbuchs.
23 Unter diesen
Umständen ersuchte das vorlegende Gericht mit
Schreiben vom 17. Juli 2003 gemäß Art. 57 Abs. 1 SDÜ
das französische
Justizministerium um Informationen, um zu klären, ob das Urteil
des
Ständigen Gerichts der Streitkräfte der Zone Est
Constantinoise vom 26.
Januar 1961 aufgrund des Verbots der doppelten Strafverfolgung
gemäß
Art. 54 SDÜ der Eröffnung eines Strafverfahrens wegen
derselben Tat in
Deutschland entgegensteht.
24 Der Staatsanwalt
des Tribunal aux armées de Paris (Militärgericht
Paris) beantwortete dieses Auskunftsersuchen insbesondere mit folgenden
Ausführungen:
"Das am 26. Januar
1961 gegen [Herrn] Bourquain in Abwesenheit
verhängte Urteil ist rechtskräftig geworden. Die Verurteilung
zur
Todesstrafe ist 1981 unwiderruflich geworden. Da Verbrechensstrafen
nach französischem Recht nach 20 Jahren verjähren, kann das
Urteil in
Frankreich nicht mehr vollstreckt werden."
25 Weiterhin
ersuchte das vorlegende Gericht das Max-Planck-Institut
für ausländisches und internationales Strafrecht um ein
Gutachten zur
Auslegung von Art. 54 SDÜ im Hinblick auf die Umstände des
Ausgangsverfahrens. In seinem Gutachten vom 9. Mai 2006 gelangte dieses
Institut zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen für die
Anwendung
von Art. 54 SDÜ, auch wenn die unmittelbare Vollstreckung der in
Abwesenheit ergangenen Verurteilung wegen verfahrensrechtlicher
Besonderheiten des französischen Rechts nicht möglich gewesen
sei, im
Ausgangsverfahren erfüllt seien, so dass die Eröffnung eines
neuen
Strafprozesses gegen Herrn Bourquain ausgeschlossen sei. In
Beantwortung eines Ersuchens um ergänzende Stellungnahme erhielt
dieses
Institut mit Schreiben vom 14. Februar 2007 seinen Standpunkt aufrecht.
26 Das Landgericht
Regensburg, das der Ansicht ist, dass sich Art.
54 SDÜ so auslegen lasse, dass eine erste Verurteilung durch einen
Vertragsstaat nur dann einer erneuten Strafverfolgung in einem anderen
Vertragsstaat entgegenstehen könne, wenn sie zu irgendeinem
früheren
Zeitpunkt vollstreckbar gewesen sei, hat beschlossen, das Verfahren
auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung
vorzulegen:
Gilt das Verbot,
einen durch eine Vertragspartei rechtskräftig
Abgeurteilten durch eine andere Vertragspartei wegen derselben Tat zu
verfolgen, wenn die gegen ihn verhängte Strafe nach dem Recht des
Urteilsstaats nie vollstreckt werden konnte?
Zur
Zuständigkeit
des Gerichtshofs
27 Erstens ist
darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof, wie sich
aus Randnr. 10 des vorliegenden Urteils ergibt, nach Art. 35 EU im
vorliegenden Fall für die Auslegung des SDÜ zuständig
ist.
28 Zweitens ist
klarzustellen, dass Art. 54 SDÜ in zeitlicher
Hinsicht auf ein Strafverfahren wie das Ausgangsverfahren anwendbar
ist. Denn das SDÜ war zwar in Frankreich noch nicht in Kraft, als
die
erste Verurteilung von Herrn Bourquain durch ein zuständiges
Gericht
dieses Staates ausgesprochen wurde, galt aber in den beiden betroffenen
Vertragsstaaten zu dem Zeitpunkt, zu dem das Gericht, das mit dem
zweiten, zum vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen führenden
Verfahren befasst ist, die Voraussetzungen für die Anwendung des
Verbots der Doppelbestrafung geprüft hat (vgl. in diesem Sinne
Urteil
vom 18. Juli 2007, Kraaijenbrink,
dejure.org/dienste/vernetzung/rechtsprechung?Text=C-367/05 C-367/05,
Slg. 2007, I-6619, Randnr. 22).
29 Drittens ist in
Bezug auf den territorialen Anwendungsbereich der
Art. 54 bis 58 SDÜ darauf hinzuweisen, dass Art. 54 SDÜ, wie
sich aus
Art. 6 des Beschlusses 1999/436 in Verbindung mit Art. 138 SDÜ
ergibt,
zwar nie in Algerien galt, wo Herr Bourquain erstmals verurteilt wurde,
dass die Anwendung dieses Art. 54 aber unter besonderen Umständen,
wie
sie diese Verurteilung kennzeichnen, nicht vom Ort ihrer
Verkündung
abhängen kann, da es entscheidend darauf ankommt, dass sie von
einem
zuständigen Gericht eines Staates ausgesprochen wurde, der
Vertragspartei des SDÜ geworden ist.
30 Da Art. 54
SDÜ,
wie die Kommission der Europäischen
Gemeinschaften zu Recht betont, nicht vorsieht, dass der Betroffene
zwingend im Hoheitsgebiet der Vertragsparteien abgeurteilt werden muss,
darf diese Vorschrift, die den Schutz einer endgültig
abgeurteilten
Person gegen neue Strafverfolgung wegen derselben Tat bezweckt, nicht
so ausgelegt werden, dass die Art. 54 bis 58 SDÜ nie auf Personen
Anwendung finden, die von einer Vertragspartei abgeurteilt wurden, die
ihre Hoheitsgewalt außerhalb des von diesem Abkommen erfassten
Gebiets
ausgeübt hat.
31 Insoweit ist
festzustellen, dass das Ständige Gericht der
Streitkräfte der Zone Est Constantinoise ein französisches
Gericht war,
das die Vorschriften des einschlägigen französischen Rechts
angewandt
hat, als es Herrn Bourquain am 26. Januar 1961 verurteilte.
32 Im Übrigen
ist
zu ergänzen, dass Art. 58 SDÜ die Bundesrepublik
Deutschland in jedem Fall ermächtigt, nationale Bestimmungen
anzuwenden, die in Bezug auf das Verbot der Doppelbestrafung weiter
reichen. So können die Vertragsstaaten dieses Verbot auf andere
Justizentscheidungen anwenden als die, die in den Anwendungsbereich des
genannten Art. 54 fallen (vgl. in Bezug auf zum Strafklageverbrauch
führende Verfahren Urteil vom 11. Februar 2003, Gözütok
und Brügge,
dejure.org/dienste/vernetzung/rechtsprechung?Text=C-187/01 C-187/01
und dejure.org/dienste/vernetzung/rechtsprechung?Text=C-385/01
C-385/01,
dejure.org/dienste/vernetzung/rechtsprechung?Text=Slg.%202003,%20I-1345
Slg. 2003, I-1345, Randnr. 45).
Zur Vorlagefrage
33 Mit der Frage
möchte das vorlegende Gericht wissen, ob das in
Art. 54 SDÜ niedergelegte Verbot der Doppelbestrafung auf ein
Strafverfahren Anwendung finden kann, das in einem Vertragsstaat wegen
einer Tat eingeleitet wurde, für die der Angeklagte in einem
anderen
Vertragsstaat bereits rechtskräftig abgeurteilt wurde, auch wenn
die
gegen ihn verhängte Strafe nach dem Recht des Urteilsstaats nie
vollstreckt werden konnte.
34 Einleitend ist
zum einen darauf hinzuweisen, dass grundsätzlich
auch eine Verurteilung in Abwesenheit, wie die Kommission in ihren
schriftlichen Erklärungen geltend macht, vom Anwendungsbereich des
Art.
54 SDÜ erfasst werden und somit ein Verfahrenshindernis für
die
Einleitung eines neuen Verfahrens sein kann.
35 Erstens ergibt
sich nämlich bereits aus dem Wortlaut des Art. 54
SDÜ, dass Verurteilungen in Abwesenheit nicht von seinem
Anwendungsbereich ausgenommen sind, da die Anwendung dieser Vorschrift
nur eine rechtskräftige Aburteilung durch eine Vertragspartei
voraussetzt.
36 Zweitens ist
darauf hinzuweisen, dass die Anwendung des Art. 54
SDÜ nicht von der Harmonisierung oder der Angleichung des
Strafrechts
der Vertragsstaaten auf dem Gebiet der in Abwesenheit ergangenen bzw.
Kontumazialurteile abhängig ist (vgl. in diesem Sinne in Bezug auf
zum
Strafklageverbrauch führende Verfahren Urteil Gözütok
und Brügge,
Randnr. 32).
37 Daher impliziert
Art. 54 SDÜ unabhängig davon, ob er auf ein im
Einklang mit den nationalen Rechtsvorschriften eines Vertragsstaats in
Abwesenheit ergangenes Urteil oder auf ein gewöhnliches Urteil
angewandt wird, zwingend, dass ein gegenseitiges Vertrauen der
Vertragsstaaten in ihre jeweiligen Strafjustizsysteme besteht und dass
jeder von ihnen die Anwendung des in den anderen Vertragsstaaten
geltenden Strafrechts akzeptiert, auch wenn die Durchführung
seines
eigenen nationalen Rechts zu einem anderen Ergebnis führen
würde (vgl.
in diesem Sinne Urteil Gözütok und Brügge, Randnr. 33).
38 Zum anderen ist,
wie mehrere Mitgliedstaaten und die Kommission
in ihren schriftlichen Erklärungen geltend gemacht haben, zu
prüfen, ob
die vom Ständigen Gericht der Streitkräfte der Zone Est
Constantinoise
in Abwesenheit ausgesprochene Verurteilung "rechtskräftig" im
Sinne des
Art. 54 SDÜ ist angesichts der Unmöglichkeit, die
verhängte Sanktion
unmittelbar zu vollstrecken, da das französische Recht im Fall des
Wiederauftauchens der in Abwesenheit verurteilten Person vorschreibt,
einen neuen Prozess in ihrer Gegenwart durchzuführen.
39 Gerade wegen
dieser Verpflichtung, im Fall der Festnahme des
nicht erschienenen Angeklagten ein neues Verfahren einzuleiten,
bezweifeln die tschechische und die ungarische Regierung, dass das
Urteil des genannten Ständigen Gerichts ein rechtskräftiges
Hindernis
für die Fortsetzung der Strafverfolgung ist.
40 Indessen
schließt allein der Umstand, dass das Verfahren in
Abwesenheit nach französischem Recht die Wiedereröffnung des
Prozesses
impliziert hätte, wenn Herr Bourquain während des Laufs der
Verjährungsfrist und vor seiner Amnestierung, also zwischen dem
26.
Januar 1961 und dem 31. Juli 1968, ergriffen worden wäre, es als
solcher nicht aus, dass die Verurteilung in Abwesenheit dennoch als
rechtskräftige Entscheidung im Sinne von Art. 54 SDÜ
qualifiziert wird.
41 Im Hinblick auf
die Beachtung des Ziels des Art. 54 SDÜ, der
verhindern soll, dass eine Person aufgrund der Tatsache, dass sie von
ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch macht, wegen derselben Tat
in
mehreren Vertragsstaaten verfolgt wird (Urteil Gözütok und
Brügge,
Randnr. 38), ist es demnach erforderlich, dass ein Urteil wie das am
26. Januar 1961 vom Ständigen Gericht der Streitkräfte der
Zone Est
Constantinoise erlassene, mit dem gemäß dem Recht des
Vertragsstaats,
der das erste Strafverfahren eingeleitet hat, rechtskräftig
über die
dem Betroffenen vorgeworfene Tat entschieden worden ist, innerhalb der
Europäischen Union anerkannt wird.
42 Die
Verwirklichung des genannten Ziels würde beeinträchtigt, wenn
Besonderheiten der nationalen Verfahren wie die in den Art. 120 und 121
des französischen Code de justice militaire pour l'armée de
terre
niedergelegten es verwehrten, den Begriff der rechtskräftigen
Aburteilung im Sinne von Art. 54 SDÜ so auszulegen, dass davon
auch im
Einklang mit dem nationalen Recht in Abwesenheit ergangene Urteile
erfasst werden.
43 Jedenfalls ist
festzustellen, dass der Staatsanwalt des Tribunal
aux armées de Paris ohne jeden Hinweis auf die Amnestierung der
Straftaten von Herrn Bourquain im Jahr 1968 ausführt, dass dessen
Verurteilung 1981, also vor Einleitung des zweiten Strafverfahrens in
Deutschland, unwiderruflich geworden sei.
44 Dazu ist zu
ergänzen, dass das Amnestiegesetz Nr. 68-697 zwar
dazu führt, dass die Straftaten von Herrn Bourquain seit seinem
Inkrafttreten nicht mehr geahndet werden können, dass die
Wirkungen
dieses Gesetzes, so wie sie insbesondere in den Art. 9 und 15 des
Gesetzes Nr. 66-396 beschrieben werden, aber nicht dahin verstanden
werden können, dass kein erstes Urteil im Sinne von Art. 54
SDÜ mehr
besteht.
45 Da das in
Abwesenheit des Betroffenen verkündete Urteil unter den
Umständen des vorliegenden Falles als rechtskräftig im Sinne
von Art.
54 SDÜ anzusehen ist, ist zu klären, ob die Voraussetzung
hinsichtlich
der Vollstreckung, d. h. der Umstand, dass die Sanktion nicht mehr
vollstreckt werden kann, auch dann erfüllt ist, wenn die mit dem
ersten
Urteil verhängte Sanktion zu keinem Zeitpunkt in der
Vergangenheit,
auch vor der Amnestie und dem Eintritt der Verjährung, unmittelbar
vollstreckt werden konnte.
46 Die ungarische
Regierung hat dazu ausgeführt, dass die
Formulierung in Art. 54 SDÜ, dass die Sanktion nach dem Recht des
Urteilsstaats "nicht mehr vollstreckt werden kann", dahin ausgelegt
werden müsse, dass die ausgesprochene Strafe nach den Vorschriften
des
Urteilsstaats zumindest zur Zeit ihrer Verkündung vollstreckbar
gewesen
sein müsse.
47 Diese
Voraussetzung hinsichtlich der Vollstreckung gebietet
indessen nicht, dass die Sanktion nach dem Recht des Urteilsstaats
unmittelbar vollstreckbar gewesen sein muss, sondern verlangt nur, dass
die mit einer rechtskräftigen Entscheidung verhängte Strafe
"nicht mehr
vollstreckt werden kann". Die Wörter "nicht mehr" beziehen sich
auf den
Zeitpunkt der Einleitung einer neuen Strafverfolgung, in Bezug auf die
das zuständige Gericht im zweiten Vertragsstaat zu prüfen
hat, ob die
Voraussetzungen nach Art. 54 SDÜ erfüllt sind.
48 Daraus folgt,
dass die Voraussetzung hinsichtlich der
Vollstreckung nach dieser Vorschrift erfüllt ist, wenn bei
Einleitung
des zweiten Strafverfahrens gegen dieselbe Person wegen der Tat, die zu
einer Verurteilung im ersten Vertragsstaat geführt hat,
festgestellt
wird, dass die in diesem ersten Vertragsstaat verhängte Sanktion
nach
dem Recht dieses Staates nicht mehr vollstreckt werden kann.
49 Diese Auslegung
wird durch das Ziel des Art. 54 SDÜ bestärkt, der
verhindern soll, dass eine Person aufgrund der Tatsache, dass sie von
ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch macht, wegen derselben Tat
in
mehreren Vertragsstaaten verfolgt wird.
50 Dieses Recht auf
Freizügigkeit kann in einer Situation wie der
des Ausgangsverfahrens nur dann effektiv gewährleistet werden,
wenn der
Betroffene die Gewissheit hat, dass er sich, wenn er in einem
Vertragsstaat verurteilt worden ist und die gegen ihn verhängte
Strafe
nach den Gesetzen des Urteilsstaats nicht mehr vollstreckt werden kann,
im Schengen-Gebiet bewegen kann, ohne befürchten zu müssen,
dass er in
einem anderen Vertragsstaat deshalb verfolgt wird, weil die Sanktion
aufgrund von verfahrensrechtlichen Besonderheiten des nationalen Rechts
des erstens Vertragsstaats nicht unmittelbar vollstreckt werden konnte.
51 Im
Ausgangsverfahren, in dem feststeht, dass die verhängte Strafe
2002, als das zweite Strafverfahren in Deutschland eingeleitet wurde,
nicht mehr vollstreckt werden konnte, stünde es im Widerspruch zu
einer
effektiven Anwendung des Art. 54 SDÜ, seine Anwendung allein
aufgrund
von Besonderheiten des französischen Strafverfahrens
auszuschließen,
die die Vollstreckung der Sanktion von einer neuen Verurteilung in
Gegenwart des Angeklagten abhängig machten.
52 Daher ist auf
die vorgelegte Frage zu antworten, dass das in Art.
54 SDÜ niedergelegte Verbot der Doppelbestrafung auf ein
Strafverfahren
Anwendung findet, das in einem Vertragsstaat wegen einer Tat
eingeleitet wird, für die der Angeklagte bereits in einem anderen
Vertragsstaat rechtskräftig abgeurteilt worden ist, auch wenn die
Strafe, zu der er verurteilt wurde, nach dem Recht des Urteilsstaats
wegen verfahrensrechtlicher Besonderheiten, wie sie im
Ausgangsverfahren in Rede stehen, nie unmittelbar vollstreckt werden
konnte.
Kosten
53 Für die
Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil
des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die
Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen
anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem
Gerichtshof
sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite
Kammer)
für Recht erkannt:
Das in Art. 54 des am 19. Juni 1990 in Schengen
(Luxemburg)
unterzeichneten Übereinkommens zur Durchführung des
Übereinkommens von
Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der
Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der
Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der
Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen niedergelegte Verbot der
Doppelbestrafung findet auf ein Strafverfahren Anwendung, das in einem
Vertragsstaat wegen einer Tat eingeleitet wird, für die der
Angeklagte
bereits in einem anderen Vertragsstaat rechtskräftig abgeurteilt
worden
ist, auch wenn die Strafe, zu der er verurteilt wurde, nach dem Recht
des Urteilsstaats wegen verfahrensrechtlicher Besonderheiten, wie sie
im Ausgangsverfahren in Rede stehen, nie unmittelbar vollstreckt werden
konnte.
SPIEGEL-ARTIKEL über den Prozess gegen Mielke:
Siehe kompletten Text hier:
www.spiegel.de/spiegel/print/d-13681040.html
Prozesse
Auf den Stufen Babylons
Gerhard Mauz über die Verurteilung von Erich Mielke in Berlin
Von
Mauz, Gerhard
Auch Strafurteile
können Opium fürs Volk sein. Es fragt sich
nur, ob das Volk nicht inzwischen gegen diese Form der Verabreichung
von Opium immun ist.
Am Dienstag
vergangener Woche soll denn doch nach 20 Monaten und
87 Sitzungstagen das Urteil über Erich Mielke verkündet
werden.
Fünfmal ist die Beweisaufnahme bereits geschlossen worden.
Fünfmal
haben Staatsanwaltschaft und Verteidigung schon plädiert.
Doch es geht um
Erich Mielke. Und so hat die 23. Große
Strafkammer unter dem Vorsitzenden Richter Theodor Seidel, 62,
erneut in die Beweisaufnahme einzutreten. Dies ist nämlich ein
Prozeß der Rekorde. Und die sind auf eine ansehnliche Höhe
zu
bringen. Sonst werden sie gleich wieder eingestellt oder gar
überboten.
Siehe kompletten Text hier:
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13681040.html
---------
Quelle: juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?
Gericht=bgh&Art=pm&Datum=2010&nr=54438&pos=6&anz=249
Bundesgerichtshof
Mitteilung der
Pressestelle
Nr.
243/2010
Lebenslange Haftstrafe wegen Ermordung
niederländischer
Zivilisten durch ein Mitglied der deutschen
Waffen-SS rechtskräftig
Das
Landgericht Aachen hat einen heute 89-jährigen, ehemals
niederländischen Staatsangehörigen wegen im Sommer 1944
begangener
heimtückischer Tötungen dreier niederländischer
Zivilisten zu einer
lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.
Nach
den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte im Zweiten
Weltkrieg sowohl Mitglied der deutschen Waffen-SS, als auch
während der
Besetzung der Niederlande durch die deutsche Wehrmacht Mitglied der
nationalsozialistischen Bewegung der Niederlande (NSB) und
Angehöriger
ihres bewaffneten Arms, der sog. "Landwacht". Diese führte in
enger
Zusammenarbeit mit dem deutschen Sicherheitsdienst (SD)
Vergeltungsmaßnahmen für Anschläge durch, die
Mitglieder einer
niederländischen Widerstandsbewegung gegen die deutsche
Besatzungsmacht
unternommen hatten. Ziel der ab Oktober 1943 unter dem Decknamen
"Geheime Reichssache Silbertanne" durchgeführten
Vergeltungsaktionen
war es, durch die meuchlerische Tötung unschuldiger, der
Widerstandsbewegung nicht angehörender Zivilisten die
Widerständler und
ihre Sympathisanten einzuschüchtern und in der
Zivilbevölkerung ein
Klima der Verunsicherung zu erzeugen. Im Rahmen solcher Racheakte
erschoss der Angeklagte auf entsprechende Anordnung seines Vorgesetzten
drei niederländische Bürger, deren Personalien ihm durch
Mitarbeiter
der deutschen SS bzw. des SD zuvor mitgeteilt worden waren.
Das
Landgericht hat die drei heimtückisch durchgeführten
Erschießungen
rechtlich jeweils als Mord gewertet. Durch den Umstand, dass der
Angeklagte wegen der Taten bereits im Jahr 1949 durch den
Sondergerichtshof Amsterdam in Abwesenheit zum Tode verurteilt worden
war, hat es sich nicht an der Aburteilung dieser Taten gehindert
gesehen; diese Strafe wurde später in eine Gefängnisstrafe
umgewandelt,
die der Angeklagte allerdings nicht antreten musste.
Der
2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat die auf die Sachrüge
gestützte
Revision des Angeklagten verworfen. Der Senat hat sich in seiner
Entscheidung der Rechtsauffassung des 1. Strafsenats des
Bundesgerichtshofs angeschlossen (Beschluss vom 25. Oktober 2010 � 1
StR 57/10; vgl. die Pressemitteilung vom 11.11.2010, Nr. 216/2010),
wonach das Verbot der Doppelbestrafung nach Art. 50 der Charta der
Grundrechte der Europäischen Union nur nach Maßgabe von Art.
54 der
Schengener Durchführungsvereinbarung (SDÜ) gilt, sodass es
auf darauf
ankommt, ob die durch das frühere Urteil verhängte Sanktion
bereits
vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nicht mehr
vollstreckt werden kann. Diese Voraussetzungen waren hier nicht
erfüllt, weshalb ein Verstoß gegen das
Doppelbestrafungsverbot nicht
gegeben war.
Beschluss
vom 1. Dezember 2010 � 2 StR 420/10
Landgericht
Aachen " Urteil vom 23. März 2010 " 252 Ks 45 Js 18/83
Karlsruhe,
den 21. Dezember 2010
Pressestelle
des Bundesgerichtshofs
76125 Karlsruhe
Telefon (0721) 159-5013
Telefax (0721) 159-5501
Quelle:
juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=pm&
Datum=2010&nr=54477&linked=bes&Blank=1&file=dokument.pdf
BESCHLUSS
2 StR 420/10
vom
1. Dezember 2010
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des
Generalbundes-anwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers
am 1.
Dezember 2010 gemäß § 349 Abs. 2 StPO beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des
Landgerichts Aachen vom 23. März 2010 wird als unbegründet
verworfen,
da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der
Revisionsrechtfertigung
keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat.
Der
Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die den
Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendi-gen
Auslagen
zu tragen.
Ergänzend
bemerkt der Senat: Die Rüge eines Verstoßes gegen das Verbot
der
Doppelbestrafung ge-mäß Art. 54 des Schengener
Durchführungsabkommens
(ABl. EG 2000 L 239/219) in Verbindung mit Art. 50 der durch den
Vertrag von Lissabon am 1. Dezember 2009 in Kraft getretenen Charta der
Grundrechte (BGBl. II S. 1223) ist nicht begründet. Der Senat
schließt
sich - auch zur Frage einer Vorlagepflicht an den EuGH - den
diesbezüglichen Rechtsausführungen des 1. Strafsenats des
Bundesgerichtshofs in sei-nem Beschluss vom 25. Oktober 2010 - 1 StR
57/10 (vorgesehen für BGHSt) an.
Rissing-van
Saan Fischer Schmitt
RiBGH
Dr. Eschelbach ist Ott erkrankt und deshalb an der Unterschrift
gehindert.
Rissing-van Saan
ARTIKEL AACHENER NACHRICHTEN
Quelle:
www.an-online.de/lokales/aachen-detail-an/1354883?_link
=&skip=&_g=Freispruch-fuer-den-falschen-Mann-auf-der-Anklagebank.html
Freispruch
für den falschen Mann auf der Anklagebank
Von Michael Klarmann 20.07.2010, 17:00
Aachen. Vom Vorwurf der
gemeinschaftlich gegenüber einem Neonazi begangenen,
gefährlichen
Körperverletzung hat das Amtsgericht Aachen einen 22-jährigen
Studenten
freigesprochen.
Das Opfer, der Sohn eines bekannten
Neonazis aus NRW, entlastete den vermeintlichen Täter.
Möglicherweise
war eine Verwechslung durch die Polizei Grund für den
Verfahrensfehler.
Der Prozess beruhte auf einer Strafanzeige des Opfers, das Anfang
September 2009 am Aachener Hauptbahnhof von mehreren, zum Teil
vermummten Personen aus dem linken Spektrum angegriffen und verletzt
worden war. Der junge Mann, der sich wie sein aus dem Raum Neuss
stammender Vater in der rechtsextremen Szene bewegt, aber
überwiegend
in Aachen lebt, war mit anderen Neonazis auf der Rückreise von
einem
rechten Aufmarsch in Dortmund. Am Bahnhof in Aachen sei er dann
attackiert worden, sagte der Neonazi vor Gericht aus.
Täter konnte er seinerzeit nicht identifizieren, jedoch gab er an,
im
Herbst 2009 bei einem Prozess gegen den früheren SS-Mann Heinrich
Boere
einen der Angreifer wiedererkannt zu haben. Sowohl Neonazis als auch
Antifaschisten hatten den Prozess beobachtet. Bei der Aufnahme der
Personalien durch Polizeibeamte war es dann aber wohl vor dem
Justizzentrum nach kurzen Rangeleien zwischen Neonazis, Linken und
Polizisten zu Verwechslungen gekommen.
Auf die Frage des Richters, ob auf der Anklagebank der
mutmaßliche
Haupttäter sitze, sagte der Neonazi: «Das ist nicht der, der
mich als
erster angegriffen hat. Ob er überhaupt dabei war, kann ich nicht
sagen.» Der vermummte Haupttäter habe «helle
Augen» gehabt, so der
Neonazi. Der vermeintliche Täter auf der Anklagebank jedoch hatte
dunkle Augen.
Der Student äußerte sich im Prozess nicht zu den
Vorwürfen. Nach rund
fünfzehn Minuten war die Beweisaufnahme denn auch schon beendet.
Staatsanwaltschaft und Verteidigung forderten einen Freispruch - das
Amtsgericht folgte dem.
QUELLE: n-tv von AFP
www.n-tv.de/politik/Israel-fordert-zum-Handeln-auf-article1354926.html
Donnerstag, 26. August 2010
NS-Kriegsverbrecher lebt in Bayern
Israel fordert zum Handeln auf
Seit
den 50er Jahren lebt der in den
Niederlanden zu lebenslanger Haft verurteilte und später geflohene
mutmaßliche NS-Kriegsverbrecher Klaas Carel Faber in Deutschland.
Auslieferungsbemühungen der Niederlande blieben erfolglos. Nun
fordert
Israel die Bundesregierung zum Handeln auf.
Israel hat
Deutschland aufgefordert,
den Fall eines in Bayern lebenden mutmaßlichen
NS-Kriegsverbrechers
erneut zu prüfen,
der in den 50er Jahren vor einer Haftstrafe aus den Niederlanden
geflohen war. Der
israelische Justizminister Jaakov Neeman habe seine deutsche Kollegin
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
in einem Schreiben darum gebeten, sagte ein Ministeriumssprecher in
Jerusalem. Anfang
des Monats hatten 150 israelische Anwälte die Regierung in einer
Petition aufgefordert,
Berlin zu juristischen Schritten gegen den heute 88-jährigen Klaas
Carel Faber zu
drängen.
Faber, der im
Zweiten Weltkrieg
dem SS-Sonderkommando "Silbertanne" angehörte, wird auf der Liste
der
meistgesuchten NS-Verbrecher des Simon-Wiesenthal-Zentrums
geführt. Die
niederländische
Justiz verurteilte ihn wegen der Ermordung von 22 Juden zum Tode, das
Urteil wurde
aber in eine lebenslange Haftstrafe umgewandelt. Im Jahr 1952 brach er
aus einem
niederländischen Gefängnis aus und floh nach Deutschland.
Seit
Jahrzehnten lebt
der gebürtige Niederländer unbehelligt von der Justiz im
bayerischen
Ingolstadt.
Die Niederlande
bemühten sich mehrfach um eine Auslieferung.
Da Faber als Mitglied der SS die deutsche Staatsbürgerschaft
erhielt,
lehnte Deutschland
dies allerdings immer wieder ab. Leutheusser-Schnarrenberger hatte
Bayern Anfang
August gebeten, die "verschiedenen rechtlichen Möglichkeiten" zu
prüfen,
wie der 88-Jährige zur Verantwortung gezogen werden könne.
Dabei solle
auch untersucht
werden, "ob aus heutiger Sicht eine Übernahme der
Strafvollstreckung"
des niederländischen Urteils aus den 40er Jahren in Betracht komme.
QUELLE:
www.welt.de/die-welt/politik/article9279870/Tauziehen-um-einen-NS-Taeter.html
DIE WELT: 07:19
Tauziehen um einen NS-Täter
Der Fall Klaas Faber beschäftigt zwei
Bundesministerien, die bayerische Justiz und die Niederlande
Von Rob Savelberg
Ingolstadt - Bayerns Justiz
gerät unter Druck. In Holland
und Israel wächst Unverständnis, teilweise sogar Wut, weil
der
verurteilte NS-Kriegsverbrecher Klaas Carel Faber seit einem halben
Jahrhundert unbehelligt in Ingolstadt lebt. Auch das
Bundesjustizministerium verlangt, gegen den 88-jährigen Rentner
vorzugehen.
Faber, geboren
1922 in Haarlem, hat während der deutschen Besetzung der
Niederlande an der Exekution von 22 Widerstandskämpfern
mitgewirkt. Wie
sein Bruder Pieter Johan war er Mitglied des Sonderkommandos
Feldmeijer, einer Spezialeinheit der SS, und erschoss im Rahmen der
"Aktion Silbertanne" holländische Zivilisten als "Vergeltung"
für
Anschläge auf Besatzungssoldaten. Dafür wurden die beiden
Fabers 1947
in Holland zum Tode verurteilt. Während sein Bruder hingerichtet
wurde,
wandelte das zuständige Gericht das Urteil gegen Klaas Faber 1948
in
"lebenslänglich" um. Vier Jahre später gelang ihm die Flucht
nach
Deutschland. Die niederländische Regierung ersuchte die
Bundesrepublik
sofort um die Auslieferung.
Doch Bonn
weigerte sich. In einem "Führererlass" hatte Adolf
Hitler 1943 festgelegt, dass ausländische SS-Freiwillige
automatisch
die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten. Faber hatte wegen
seiner
Kollaboration mit den Nazis die niederländische Nationalität
verloren.
Da damals als Reaktion auf die NS-Ausbürgerungen deutsche
Bürger nicht
zur Bestrafung an andere Staaten ausgeliefert wurden, schützte nun
der
junge Rechtsstaat Faber davor, zum Strafvollzug in die Niederlande
zurückgebracht zu werden.
1957 hatte die
deutsche Justiz versucht, den langjährigen
Audi-Arbeiter hinter deutsche Gitter zu bringen. Der Versuch misslang.
Das Landgericht Düsseldorf ließ eine Anklage nicht zu, denn
Holland
verweigerte jegliche Kooperation mit dem Gericht und bestand
stattdessen auf Fabers Auslieferung.
In Aachen wurde
nun aber im vergangenen März Heinrich Boere
verurteilt, wie Faber einer der "Silbertannen"-Mörder. Auch Boere
war
in den Niederlanden nach Kriegsende schon einmal der Prozess gemacht
worden. Damit gibt es nun einen möglichen Präzedenzfall.
Bereits als
FDP-Oppositionsführerin in Bayern hatte Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger den Fall Faber aufgegriffen. Jetzt nimmt
sie einen neuen Anlauf, wozu sie auch von ihrer israelischen Kollegin
sowie 150 israelischen Anwälten aufgefordert worden war. Sie regte
an,
das niederländische Urteil in Deutschland zu vollstrecken (wie
Holland
es 2004 vorgeschlagen hat.) Allerdings lehnte das Landgericht
Ingolstadt dies damals ab. Bayerns Justizministerin Beate Merk
antwortete nach Berlin, es sei nicht "weiterführend", die
Staatsanwaltschaft Ingolstadt zu fragen, ob sie das holländische
Urteil
umsetzen wolle. Stattdessen bat die stellvertretende CSU-Vorsitzende um
ein neues förmliches Ersuchen aus den Niederlanden in der Frage
Im
niederländischen Justizministerium in Den Haag reagiert man
erstaunt: ,,Die Situation hat sich nicht verändert. Wir haben
nichts
aus Deutschland gehört", sagte ein Sprecher der WELT. Offenbar
arbeiten
die verschiedenen Behörden im Fall Faber aneinander vorbei. Bei
der
Kabinettssitzung am kommenden Mittwoch wird Leutheusser-Schnarrenberger
ihren Ministerkollegen und Parteichef Guido Westerwelle fragen, ob er
die Holländer für ein erneutes Ersuchen an die bayerische
Justiz
gewinnen kann.
Jedoch ist die
Rechtslage unklar: ,,Wir bezweifeln, ob das
Verfahren aus 1957 Sperrwirkung hat und ob man neue Tatsachen liefern
muss", teilt das Bundesjustizministerium auf Anfrage mit. In
München
sieht man das anders: ,,Die Hürden sind sehr hoch, die Chancen
nicht
positiv", sagt Merks Sprecher Stefan Heilmann. "Ein neues Verfahren
findet nur bei einem Geständnis statt, oder wenn die
Fälschung von
Zeugenaussagen oder Dokumenten belegt sind." Es greife das
rechtsstaatliche Prinzip, dass eine doppelte Bestrafung in derselben
Sache verboten sei, der so genannte Strafklageverbrauch.
Der
niederländische Kriegsreporter Arnold Karskens hat dennoch
Hoffnung, dass auch der letzte holländische Nazigreis sein
Lebensende
hinter Gittern verbringen wird. Er hat zahlreiche Kriegsverbrecher
aufgespürt, Heinrich Boere war einer davon. Das Urteil gegen Boere
zeige, dass langer Atem und Durchhalten schließlich zu
Gerechtigkeit
führen könne. Zwar spät, aber besser als gar nicht.
Mitarbeit: Sven Felix Kellerhoff
Klau|s|ens ist Klausens ist Klau(s)ens ist Klau's'ens ist Klau/s/ens
ist Klau1s1ens ist Klau[s]ens ist Klau*s*ens ist Klau-s-ens ist
Klau#s#ens ist Klau³s³ens ist Klau²s²ens ist
Klau§s§ens ist Klau:s:ens ist Klau_s_ens ist Klau=s=ens ist
Klau?s?ens ist Klau+s+ens ist Klau~s~ens ist Klau@s@ens ist Klau!s!ens
ist Klau°s°ens ist Klau"s"ens ist Klau§s§ens ist
Klau$s$ens ist Klau!s!ens ist Klau?s?ens ist Klau"s"ens ist Klau\s\ens
ist Klau&s&ens ist Klau1s1ens ist Klau.s.ens ist Klau,s,ens ist
Klau2s2ens ist Ist-Klausens ist Zweitklausens ist Drittklausens ist
Viertklausens ist Fünftklausens ist Sechstklausens ist
Siebtklausens ist Achtklausens ist Neuntklausens ist ... Klaus
Ist-Klausens ... Klaus K. Klausens ... Klaus Klausens-Achtlinger ...
und seit dem 4.2.2008 auch Weltkulturerbe.